Die Aktualität der diesjährigen Fachtagung zu linker Außen- und Sicherheitspolitik war mit den Händen zu greifen: der blutige Bürgerkrieg Syrien, die Kämpfe im Irak und Jemen, die Aktivitäten Saudi Arabiens und Irans in der Region, die Flüchtlinge aus Nordafrika, die Treffen zwischen russischen und US-amerikanischen Diplomaten in Genf. Die Medien sind zurzeit voll mit Nachrichten zu den Ereignissen im Nahen Osten, die für Europa generell und Deutschland speziell von Bedeutung sind.
Europa und der Nahe Osten sind seit Jahrhunderten auf das engste verbunden. In dieser langjährigen Geschichte haben sich beide Räume ökonomisch, politisch und kulturell stark verflochten und beeinflussen sich sowohl positiv wie auch negativ. Vor 100 Jahren teilten europäische Mächte das Osmanische Reich auf und schufen jene Grenzen, die heute immer mehr zur Disposition stehen. Das koloniale Erbe Europas wirkt auch heute nach. Zugleich entwickelte sich der Nahen Osten zu einem wichtigen ökonomischen Faktor für Europa. Vor allem der Ölreichtum macht diesen Raum zu einem begehrten Partner europäischer und außereuropäischer Staaten. Mit dem seit Jahrzehnten schwelenden Konflikt zwischen Israel und Palästina gehört dieser Raum zu einem der Spannungszonen der Weltpolitik, in der immer wieder Gewalt ausbricht.
Die zirka 70 Teilnehmerinnen und Teilnehmer des 20. Außenpolitischen Kolloquiums diskutierten auf fachlich hohem Niveau die unterschiedlichen Konflikte, fragten nach den Prinzipien für deren Lösung und die Bedeutung des Islams. Welche Rolle sollen äußere Mächte wie die USA und Russland spielen? Und wie steht es um die regionalen Kräfte, die staatlichen, aber auch die gesellschaftlichen? Gibt es Chancen für eine regionale Sicherheitsarchitektur und welche Rolle kann Deutschland spielen, dass „mehr Verantwortung“ in der internationalen Politik übernehmen will.
Prof. Dr. Raimund Krämer (Vorstandsmitglied der RLS Brandenburg und Chefredakteur der Zeitschrift WeltTrends, Potsdam) betonte in seinen Begrüßungsworten, dass wir gegenwärtig im Nahen Osten den Zusammenbruch der bisherigen Ordnungsmodelle beobachten. Die „westliche“, vor allem die US-amerikanische Politik des „Regime Change“ zerstörte staatliche Strukturen und schuf Räume für einen expandierenden Terrorismus. Staaten und ihre Grenzen zerfallen; die unterschiedlichsten Gruppen bekämpfen sich mit Gewalt, hunderttausend Tote und Millionen von Flüchtlingen sind die Konsequenz. Regionalmächte nutzen dieses Vakuum und unterstützen ihre jeweiligen Verbündeten und verhindern politische Lösungen. Die Krise im Nahen Osten ist eine fundamentale und gefährliche zugleich. Hier stehen sich zurzeit zwei Weltmächte (direkt) gegenüber, und jenseits aller Rationalitäten kann dies in einen Konflikt der (immer noch atomaren) Großmächte USA und Russland umschlagen.
Vor Beginn der Debatte bedankte sich der Vorsitzende der Landestiftung, Steffen Kludt, bei Dr. Detlef Nakath, der diese traditionsreiche Fachtagung begründet hatte und seitdem als langjähriger Geschäftsführer der Landesstiftung maßgeblich inhaltlich und organisatorisch gestaltet hat.
Im 1. Panel (Europa und der Nahen Osten – eine lange, wechselvolle und komplizierte Nachbarschaft) skizzierte Dr. Arne Seifert (Botschafter a.D., Verband für internationale Politik und Völkerrecht, Berlin) die generelle Lage in der Region. Seine Bilanz westlicher Politik der letzten Jahre war verheerend. „So kann es nicht weitergehen. Wir brauchen einen Paradigmenwechsel in der Politik des Westens.“ Seifert fragte, wie friedenspolitische Durchbrüche erreicht werden könnten, erinnerte an die Prinzipien der friedlichen Koexistenz und diskutierte das Verhältnis zum politischen Islam. Dabei fragte er auch nach der Position der Linken zu diesen Kräften. Prof. Dr. Udo Steinbach (Berlin) setzte mit Überlegungen zu einer künftigen regionalen Sicherheitsarchitektur im Nahen Osten fort. Er skizzierte die „orientalische Frage“, d.h. die Teilung des Osmanischen Reiches seit 1774. Steinbach erwartet eine Stärkung der säkularen Kräfte. „Mit Religion ist kein Staat zu machen.“ Das habe auch der 30jährige Krieg in Europa gezeigt. Der von ihm prognostizierte Rückgang des Einflusses der USA in der Region wurde in der anschließenden Debatte mehrfach angezweifelt.
Das 2. Panel war inhaltlich außerordentlich dicht. Es diskutierte regionale Konflikte im Kontext der europäisch-arabische Nachbarschaft
Zum israelisch-palästinensischen Konflikt sprach Dr. Tamar Amar-Dahl (israelisch-deutsche Historikerin, Berlin). Sie diskutierte das Verhältnis des „zionistischen Israel zur Palästinafrage“ und betonte, dass für „Das Land Israel“ der Mythos dominiere, der zu einer Verschärfung des Konfliktes führe. Tsafrir Cohen (Journalist und Publizist, Leiter des Israel-Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Tel Aviv) machte anhand von Karten zur Siedlungspolitik in der Westbank die Schwierigkeiten für eine Zwei-Staaten-Lösung deutlich. Ob dann andere Lösungen (Einstaatenlösung, Konföderation) eine Chance haben, ließ er offen. Naoual Belakhdar (Politikwissenschaftlerin, Center of Middle Eastern and North African Politics, Freie Universität Berlin) ging auf soziale Entwicklungen im Maghreb ein und zeigte, wie aus sozialen Konflikten (im Süden Algeriens) Sicherheitsprobleme gemacht werden. Zum Syrien-Konflikt sprach anschließend Prof. Dr. Karin Kulow (Nahost- und Islamwissenschaftlerin, Berlin). Sie ging auf die Verantwortung europäischer Politik ein und betonte, dass die Chancen des Jahres 2012 verpasst wurden. Wolfgang Grabowski (Botschafter a.D., früherer DDR-Botschafter in Syrien) sprach über die Rolle Russlands im Syrienkrieg. In der anschließenden Debatte ging es um den israelisch-palästinensischen Konflikt, vor allem um die Zwei-Staaten-Lösung, um die Rolle Saudi Arabiens und die Aufrüstung in der Region.
Das 3. Panel diskutierte die europäisch-arabische Nachbarschaft in einer multipolaren Welt und die Herausforderungen für eine deutsche Außenpolitik. Dr. Katja Hermann (Rosa-Luxemburg-Stiftung, Berlin) beschrieb die Arbeit deutscher politischer Stiftungen und NGO in arabischen Konfliktstaaten und unterlegte ihre Ausführungen eindrucksvoll mit Filmaufnahmen. Azadeh Zamirirad (Politikwissenschaftlerin, Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin) skizzierte den regionalen Ordnungsverlust und die Herausforderungen für die deutsche MENA-Politik. Sie verwies auf deutsche Initiativen zur Konfliktbegrenzung in diesem Raum. Wolfgang Gehrcke (MdB, Fraktion DIE LINKE, Berlin) stellte die Situation im Nahen Osten in einen globalen Kontext. Es gehe um die „Neuaufteilung der Welt“. Dafür riskieren die USA ein „kreatives Chaos“ im Nahen Osten, das Millionen von Menschen Not und Elend bringt. Gehrcke betonte, dass gegenwärtig das Verhältnis zu Russland der zentrale Aspekt deutscher Außenpolitik sei. Mit Blick auf informelle Gespräche zwischen Rot-Rot-Grün betonte der außenpolitische Sprecher der Linken, dass eine klare Position in der Friedensfrage geradezu eine Überlebensfrage für die Partei die LINKE sei.
In seinen Schlussbemerkungen betonte Raimund Krämer, dass einerseits die Herausforderung in der Region steht, „die Probleme zu politisieren“, d.h. die Konflikte zu entmilitarisieren, auf die politische Ebene zu heben und damit lösbar zu machen. Das bedeutet als ersten Schritt, die Gewalt zu beenden. Andererseits sei es notwendig, dass wir jenseits von realistischen Analysen eine politische Vorstellung, „eine Vision“ von der Zukunft der Zusammenarbeit der beiden Regionen haben sowie eine friedenspolitische Blaupause für unverzügliches Handeln erarbeiten.