Nachricht | Ungleichheit / Soziale Kämpfe Recht auf Perspektive

Tagung an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg beschäftigte sich erneut mit verschiedenen internationalen Vorbildern in Bezug auf die Regionalentwicklung durch Minderheiten und insbesondere die Sorben/Wenden

Bereits im Oktober 2013 hatten der Lehrstuhl für sozialwissenschaftliche Umweltfragen der BTU Cottbus-Senftenberg und das Regionalbüro Cottbus der Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg zu einer Tagung eingeladen, die das Potential des „Übereinkommens über eingeborene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern“ der Internationalen Arbeiterorganisation, ILO 169, für die sorbische/wendische Minderheit in der Lausitz ausloten wollte. Auch wenn es auf den ersten Blick für einige Verwirrung sorgen mag, die Sorben/Wenden als „indigenes Volk“ zu bezeichnen, so war vor einem Jahr doch deutlich geworden, dass sich aus der Konvention fruchtbare Ansätze für die Formulierung und Ausgestaltung der Rechte der Sorben/Wenden finden lassen.

Da es in dem – von Deutschland bisher nicht ratifizierten – Übereinkommen vor allem auch um die kollektiven Verfügungsrechte an natürlichen Ressourcen wie Land und Bodenschätze geht, lag es nahe, sich nun in einer weiteren Tagung den daraus ergebenen Ideen hinsichtlich der „Regionalentwicklung bei indigenen Völkern, europäischen Minderheiten und den Sorben/Wenden“ zu widmen und auszuloten, welche Impulse von Indigenen für ein nachhaltiges, solidarisches, gemeinschaftliches Wirtschaften und Zusammenleben ausgehen können.

Zu Beginn der Tagung gab der Schriftsteller und Lyriker Udo Tiffert einen Problemaufriss durch vier seiner Texte, die die Ambivalenzen der vom Bergbau geprägten Region sehr anschaulich verdeutlichten.

Der ehemalige Brandenburgische Landtagsabgeordnete, Philosoph und Afrikawissenschaftler Dr. Gerd-Rüdiger Hoffmann (Senftenberg) beleuchtete in seinem Beitrag die Debatte um das „angestammte Siedlungsgebiet“ im Zuge der Novellierung des Sorben/Wenden-Gesetzes in Brandenburg und mahnte die Beachtung internationaler, wissenschaftlicher Standards an, nach denen sich die Bindung der Minderheitenrechte an ein bestimmtes Territorium eigentlich verbietet. Mobilität und Freizügigkeit sind selbstverständlich auch Angehörigen einer Minderheit zuzugestehen, ohne dass sie damit ihrer Rechte verlustig gingen. Angesichts der Fixierung auf ein bestimmtes Siedlungsgebiet, wenn es um die Ausreichung von Fördermitteln geht, erstaunt es laut Hoffmann dann doch sehr, dass im Zusammenhang mit dem Braunkohlenabbau niemand der Verantwortlichen auf die Idee kommt, dass die Kohle eigentlich den Sorben/Wenden gehörte. Es ist, so Hoffmann, an der Zeit, ein modernes Minderheitengesetz als höheres Allgemeingut anzusehen als eine rückwärtsgewandte Braunkohlentechnologie.

Der Sozialwissenschaftler Dr. Johannes Waldmüller (Genf, Ecuador) stellte die Idee des „Buen Vivir“ vor, die im deutschsprachigen Raum meist als das „gute Leben“ übersetzt wird, obgleich es treffender wäre im Sinne eines Verbs von „Gutes leben“ zu sprechen. Das von den Indigenen entworfene alternative Entwicklungsmodell des „Suma Kawsay“ verbindet wesentliche Themen wie kollektive Rechte, Umweltschutz, soziale Gerechtigkeit und Dekolonialität. Als „Buen Vivir“ ist es mittlerweile zum Beispiel in Ecuador als Staatsziel in die Verfassung aufgenommen worden – jedoch in einem anderen Verständnis, was insbesondere seit dem extensiven Aufbau des Bergbaus zum Bruch mit den Indigenen oder namhaften Vertretern wie Alberte Acosta geführt hat. Waldmüller machte aber auch deutlich, wie lokale Projekte gegenwärtig versuchen, die Deutungshoheit über das Konzept zurückzuerlangen.

Verschiedene Autonomiemodelle, die für nationale Minderheiten in Europa Anwendung finden, stellte der Politologe Prof. Dr. Klaus-Jürgen Nagel (Barcelona) vor und machte am katalonischen Beispiel deutlich, wie sehr der Anstieg der Zustimmung für eine Unabhängigkeit mit der verweigerten Anerkennung zu tun hat. Auch in seinem Beitrag spielte das Engagement der Zivilgesellschaft eine zentrale Rolle, insbesondere wenn es darum geht, aufgrund von staatlichen Entscheidungen eigene Spielräume wiederzuerlangen oder neu zu schaffen.

Wie diese Freiräume im Konkreten genutzt werden können, machte Thomas Zschornak anschaulich, Bürgermeister der sorbischen Gemeinde Nebelschütz. Zentral ist dabei vor allem die materielle Verfügungsgewalt als Gemeinde über die Flächen, die zu ihr gehören, um selbstbestimmt Akzente setzen und Freiräume für die Dorfentwicklung schaffen zu können. So ist es gegenwärtig möglich, Ackerland auf Beschluss des Gemeinderates an einen jungen Ökobauern zu verpachten. Im Vorfeld der geplanten Neueröffnung eines ökologisch-kreativen sorbischen Kindergartens fand in der Gemeinde eine Zukunftswerkstatt mit den Eltern statt, in der das pädagogische Konzept der Einrichtung gemeinsam erarbeitet wurde. Die Gemeinde sieht auch in der Sensibilisierung für die ortstypische Architektur eine wichtige Aufgabe und unterstützt entsprechende Sanierungen auch durch in einer Sozialwerkstatt gesammelte und aufgearbeitete Baumaterialien. Gegenwärtig wird zwischen den Gemeinden im Umland ein Ausschuss neukonstituiert, der sich um sorbische Belange kümmern wird.

Angesichts des gegenwärtig diskutierten Serbske Sejmik, einer kollektiven Vertretung sorbischer Interessen auf politischer Ebene, schilderte der Historiker und Rechtsanwalt Heiko Kosel (Watha) aufgrund seiner Erfahrungen als Kreistagsabgeordneter in Bautzen und ehemaliger sächsischer Landtagsabgeordneter, wie wichtig aus Sicht der Sorben/Wenden die Kompetenzen in den Bereichen Bildung, Kultur und Jugend sind. Allerdings müssten sie über die eines Kreistags noch hinausgehen, da man sich sonst nur neue Fesseln anlegt. Ohne andere Rahmenbedingungen, ohne eine Dynamisierung der Mittel läuft man Gefahr, das Elend nur selbstbestimmt zu verwalten. 

Die Debatte im Laufe der Tagung gewann durch die verschiedenen Sichtweisen und internationale Erfahrungen und entwickelte sich vor allem entlang der Ambivalenzen der Bindung von Minderheitenrechten an ein bestimmtes Territorium, der Vor- und Nachteile einer Verrechtlichung und der Bedeutung der Sprache.

Der Ökonom und Philosoph PD Dr. Steffen Groß (Cottbus) verwies darauf, dass in der globalisierten Welt ein Bezug zu einem bestimmten Territorium auch im Selbstverständnis nicht zu unterschätzen ist. Ein effektiver Minderheitenschutz wird wohl gegenwärtig ohne den Bezug auf ein Territorium nicht funktionieren, muss aber durch einen personenbezogenen Schutz ergänzt werden. Im Grunde gelte es, stärker den Gestaltungsspielraum auszuloten, die Gesetze, auch wenn sie eher als Abwehrrechte konzipiert sind, bieten.

Am ecuadorianischen Beispiel war jedoch auch erkennbar geworden, dass eine zu starke Verrechtlichung, insbesondere nach westlichen Standards und zugunsten der ökonomischen, sozialen und kulturellen Rechte die Gefahr einer Folklorisierung und fixierten kulturellen Identität birgt, wobei das Moment der Dynamik und Weiterentwicklung verloren geht. Kultur ist immer in Entwicklung und geprägt von Diskurs und Diversität. Dies in Gesetzen und Verordnungen auch wiederzuspiegeln, scheint die eigentliche Schwierigkeit zu sein. Umso wichtiger ist es, sich Orte, Freiräume für emanzipatorische Alternativen zu suchen oder sie zu schaffen.

Ausgehend vom ursprünglichen Konzept des Buen Vivir stellten insbesondere junge Studierende aus Cottbus und Leipzig die Frage nach dem sorbischen „Buen Vivir“, nach dem anderen Erzählen, Wirtschaften und Leben in der Lausitz und den Möglichkeiten, das Zusammenleben in und mit der Unterschiedlichkeit gemeinschaftlich zu organisieren. Dies aber ist vielleicht Gegenstand einer kommenden Tagung.

Den Organisatoren Daniel Häfner und Dr. Lutz Laschewski ist es zu danken, dass die BTU Cottbus-Senftenberg mit dieser Tagung eine andere Perspektive auf die für die Zukunft der Lausitz so wichtige Frage der Regionalentwicklung eröffnete. An der einzigen Universität im Kerngebiet der Sorben/Wenden müsste der bikulturelle Charakter der Region sehr viel öfter Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung sein.

Das Programm der Veranstaltung ist hier nachlesbar:

www.brandenburg.rosalux.de/event/52076/das-recht-auf-perspektive-regionalentwicklung-bei-indigenen-voelkern-europaeischen-minderheiten.html

Ein Tagungsband ist in Vorbereitung. Die Beiträge der ersten Konferenz sind im Internet unter dem folgenden Link einsehbar:

www.tu-cottbus.de/fakultaet4/de/sozialwissenschaftliche-umweltfragen/lehrstuhl/aktuelles.html

Cathleen Bürgelt
(Historikerin, Dresden)

In der sorbischen Abendzeitung Serbske Nowiny ist am Montag bereits ein Artikel in obersorbischer Sprache zur Konferenz erschienen.