Dokumentation Großes Interesse an der Buchvorstellung "Ausschluss. Das Politbüro vor dem Parteigericht"

mit Detlef Nakath & Gerd-Rüdiger Stephan am 11.2. in Potsdam

Information

Zeit

Dr. Detlef Nakath, Gerd-Rüdiger Stephan, Prof. Dr. Siegfried Prokop (v.l.n.r.) [Foto: Bürgelt]

Am 11. Februar 2020 stellten die beiden Herausgeber, die Historiker Gerd-Rüdiger Stephan und Dr. Detlef Nakath, in der Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg ihren kommentierten Protokollband "Ausschluss. Das Politbüro vor dem Parteigericht" vor, moderiert von Prof. Dr. Siegfried Prokop.

Am 20. Januar 1990 beschloss die Zentrale Schiedskommission der SED-PDS den Ausschluss von 14 (von 17) führenden Funktionären und ehemaligen Politbüromitglieder aus der SED-Nachfolgepartei. Nun, nach 30 Jahren, sind die Tonbandprotokolle dieser langen Sitzung aufbereitet und können einerseits über die Homepage der RLS nachgehört werden. Andererseits erscheint die kommentierte Schriftfassung dieser Protokolle, ergänzt durch die schriftlichen Stellungnahmen der Befragten, einordnende Beiträge und biographische Notizen von Dr. Volkmar Schöneburg, Tom Strohschneider und Michael Herms voraussichtlich am 24. Februar 2020 im Karl-Dietz-Verlag.

Mit den drei Protagonisten des Abends waren zugleich auch mehrere Jahrzehnte Vereinsgeschichte präsent - waren doch Gerd-Rüdiger Stephan und Detlef Nakath über viele Jahre Geschäftsführer, Siegfried Prokop drei Wahlperioden lang Vorsitzender der RLS Brandenburg, worauf der heutige Vorsitzende, Steffen Kludt, bei seiner Begrüßung die über 50 Gäste aufmerksam machte. 

Steffen Kludt bei der Begrüßung [Foto: Bürgelt]

Nachdem Gerd-Rüdiger Stephan den Fund der Tonbandprotokolle vor ca. 2 Jahren im Archiv der RLS, die Methode ihrer Bearbeitung und damit auch die Entstehung des Buches skiziiert und an die Zusammensetzung des Politbüros erinnert hatte, ordnete Detlef Nakath die damalige Anhörung in den historischen Zusammenhang ein (Stichworte: Außerordentlicher Parteitag, Luxemburg-Liebknecht-Demonstration im Januar 1990 mit 250.000 Teilnehmenden, "Sturm" auf die Stasi-Zentralen am 15.1.1990, zeitgleiche Sitzung des Parteivorstands, Modrows Plan für die Vereinigung, Umbenennung der Partei von SED-PDS in PDS am 4.2.1990, Beschluss zur Vorverlegung der Wahlen auf den 18.3.1990, ...) und beschrieb die Sitzung der auf dem außerordentlichen Parteitag berufenen Schiedskommission mit dem Zitat von Volkmar Schöneburg als "notwendigen Anachronismus", so sie versuchte, den Stalinismus mit poststalinistischen Mitteln auszutreiben.

An der anschließenden ausführlichen und zum Teil sehr emotionalen Diskussion beteiligten sich auch Zeitzeug*innen - so das gewählte Mitglied der Schiedskommission, Horst Nörenberg, oder der damalige Erste Sekretär der SED-Bezirksleitung Potsdam, Heinz Vietze.

Heinz Vietze in der Diskussion [Foto: Bürgelt]

Bericht zur Veranstaltung

In der jungen Welt ist am 13. Februar 2020 ein ausführlicher Bericht zur Veranstaltung von Arnold Schölzel erschienen, auf den wir an dieser Stelle gern verweisen:

"Mit poststalinistischen Mitteln. Der Parteiausschluss des SED-Politbüros: Eine Buchvorstellung in Potsdam"

von Arnold Schölzel (junge Welt, 13.2.2020, S. 11)


Die Tonbandprotokolle

Im Herbst 1989, vor nunmehr 30 Jahren, gingen Hunderttausende Bürger in Berlin, Leipzig, Dresden, Erfurt, Plauen und zahlreichen anderen Städten auf die Straße. Sie demonstrierten für eine Demokratisierung ihres Landes, für Reisefreiheit und die Entmachtung der alten Führungsstrukturen in der DDR. Darunter befanden sich auch zahlreiche Mitglieder der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) sowie der anderen DDR-Blockparteien, die mehrheitlich für die Überwindung der diktatorischen Herrschaftsformen und des strukturellen Stalinismus eintraten.

Vielen von ihnen, insbesondere den SED-Mitgliedern, ging es um die Veränderung der Arbeits- und Lebensbedingungen und um einen demokratischen Sozialismus in der DDR. Nachdem SED-Generalsekretär Erich Honecker und sieben Wochen später auch sein Nachfolger Egon Krenz sowie das gesamte Zentralkomitee und Politbüro zurückgetreten waren, hatte der von der Basis erzwungene Außerordentliche Parteitag den "unwiderruflichen Bruch mit dem Stalinismus als System" beschlossen. Ein neues Parteiprogramm und Statut sowie grundsätzlich veränderte Führungsstrukturen standen am Beginn der Tätigkeit einer Partei, die sich nunmehr für wenige Wochen SED-PDS nannte. Bereits am 4. Februar 1990 beschloss der Parteivorstand den neuen Namen: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS).

Auf dem kurzen Weg zu diesem neuen Namen lag ein wichtiges Ereignis. In einer Sitzung, die vom Vormittag des 20. Januar bis in die frühen Morgenstunden des 21. Januar 1990 dauerte, tagte die vom Außerordentlichen Parteitag anstelle einer bisherigen Zentralen Parteikontrollkommission gewählte Schiedskommission unter Leitung ihres Vorsitzenden Günther Wieland. Sie beschloss nach intensiver Anhörung von 15 ehemaligen Mitgliedern und Kandidaten des SED-Politbüros den Auschluss von 14 Mitgliedern aus der Partei. Nicht ausgeschlossen wurde nach der Anhörung Siegfried Lorenz. Nicht befragt und nicht ausgeschlossen wurden Hermann Axen - auch mit Verweis auf seine Verfolgung im Faschismus - und Werner Eberlein, dessen Vater, Hugo Eberlein, 1941 im Zuge der stalinistischen Säuberungen erschossen wurde. 

Diese Sitzung wurde aufgezeichnet. Nach 30 Jahren veröffentlichen die Rosa-Luxemburg-Stiftung und der Karl Dietz Verlag nun die Tonbandprotokolle dieser Nacht. Im Verlag erscheint die Transkription der Gespräche im vollen Wortlaut, zusammen mit zusätzlichen historischen Dokumenten sowie einem Geleitwort von Dagmar Enkelmann und Beiträgen von Michael Herms, Volkmar Schöneburg und Tom Strohschneider.

Befragt wurden:

  • Margarete Müller (26 Jahre Kandidatin des Politbüros und Mitglied des DDR-Staatsrats – befragt vor allem zu verfehlter Landwirtschaftspolitik und Inanspruchnahme von Privilegien.)
  • Werner Walde (Kandidat des Politbüros, 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Cottbus – befragt vor allem über Informationsflüsse Cottbus-Berlin, verfehlte Energiepolitik und Privilegien.)
  • Joachim Herrmann (Mitglied des Politbüros, Sekretär des ZK der SED – befragt vor allem zur Arbeit innerhalb der Parteiführung, Manipulation Massenmedien, Verhältnis zur KPdSU und Privilegien.)
  • Siegfried Lorenz (Mitglied des Politbüros, 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Karl-Marx-Stadt – befragt vor allem zu Informationsflüssen Karl-Marx-Stadt-Berlin und Tätigkeit als Sekretär für Parteifragen und Privilegien.)
  • Kurt Hager (Mitglied des Politbüros und Sekretär des ZK der SED – befragt vor allem zur Einhaltung des Parteistatuts, Verantwortung für Gängelei in Kulturpolitik, Bildung und Wissenschaft und Privilegien.)
  • Alfred Neumann (Mitglied des Politbüros, 1. Stellvertreter des DDR-Ministerratsvorsitzenden – befragt vor allem zur Arbeit innerhalb der Parteiführung und Privilegien.)
  • Horst Dohlus (Mitglied des Politbüros, Sekretär des ZK der SED – befragt vor allem zu Informationsflüssen Parteibasis-Politbüro, Unterdrückung kritischer Meinungen innerhalb der SED, Rolle beim Ablauf der Wahlen vom Mai '89, Privilegien.)
  • Heinz Keßler (Mitglied des Politbüros, Minister für Nationale Verteidigung – befragt vor allem zu Information des Politbüros über Lage in der NVA, Haltung zur KPdSU und Privilegien für NVA-Kader.)
  • Erich Mückenberger (Mitglied des Politbüros und Vorsitzender der Zentralen Parteikontrollkommission – befragt vor allem zur Verantwortung für schlechte Kritik-Kultur innerhalb der SED und Privilegien.)
  • Werner Jarowinsky (Mitglied des Politbüros, Sekretär des ZK der SED – befragt vor allem zu seiner Verantwortung für geschönte Berichte über schlechte Versorgungslage, Zustand der Volkswirtschaft, Stimmung in der Bevölkerung und Privilegien.)
  • Hans-Joachim Böhme (Mitglied des Politbüros, 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Halle – befragt vor allem zu Informationsflüssen Bezirk Halle nach Berlin, Rolle bei Demonstrationen im Bezirk Halle im Oktober 89 und Privilegien.)
  • Günter Schabowski (Mitglied des Politbüros, ZK-Sekretär, 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Berlin – befragt vor allem zu Informationsflüssen Bezirksparteiorganisation-Politbüro, Anteil am Sturz Erich Honeckers, Verantwortung für Übergriffe der Sicherheitsorgane am 40. Jahrestag der DDR und Privilegien.)
  • Inge Lange (Mitglied des Politbüros, Sekretär des ZK der SED – befragt vor allem zur Mitverantwortung für ungenügende Frauenpolitik und Privilegien.)
  • Egon Krenz (Generalsekretär des ZK der SED, Mitglied des Politbüros, Vorsitzender des Staatsrates und des Nationalen Verteidigungsrates der DDR – befragt vor allem zu kritikloser Unterstützung der Parteiführung, Rolle bei den Wahlen im Mai 1989, Einfluss auf das Ministerium für Staatssicherheit und Privilegien.)
  • Gerhard Schürer (Mitglied des Politbüros, Vorsitzender der Staatlichen Plankommission beim Ministerrat der DDR – befragt vor allem zur Verantwortung für wirtschaftliche Lage der DDR und Privilegien.)

Zu den Tonbandprotokollen ...


Interview mit Dr. Detlef Nakath im Deutschlandfunk Kultur

Detlef Nakath im Gespräch mit Liane von Billerbeck in der Sendung "Studio 9" am 20.1.2020

Die Halbgötter der Partei vor ihrem politischen Ende.

Zum Nachhören ...


Die Publikation

Ausschluss. Das Das Politbüro vor dem Parteigericht
Die Verfahren 1989/1990 in Protokollen und Dokumenten

Herausgegeben von Gerd-Rüdiger Stephan und Detlef Nakath
Bearbeitet von Christine Krauss

Mit einem Geleitwort von Dagmar Enkelmann sowie Beiträgen von Michael Herms, Volkmar Schöneburg und Tom Strohschneider

552 Seiten, geb., 49,90 Euro
ISBN 978-3-320-02365-2

Karl Dietz Verlag
dietzberlin.de