Nachricht | Staat / Demokratie Der Papst kommt – na und?

Der Katholische Theologe Michael Ramminger über den anstehenden Papst-Besuch.

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Der SPD-Politiker Rolf Schwanitz fordert in einem Brief seine Fraktionskollegen dazu auf, der Ansprache des Papstes fernzubleiben und schreibt darin, mit dem Papst trete zum ersten Mal ein Gast ans Rednerpult, „der die Mehrheit der Deutschen für verdammungswürdig hält“. Denn nach den Glaubenssätzen der katholischen Kirche seien all jene Menschen davon betroffen, „die diesem Glauben wissentlich nicht folgen wollen“. Sie würden vom Papst „stigmatisiert“. Außerdem trage der Papst „erhebliche Verantwortung“ an der Ausbreitung der „Aids-Epidemie“, und „an der Unterdrückung, Ausbeutung und Stigmatisierung von Millionen Menschen“. (Angelika Wölk, Der Westen, 26.6.2011)

Mal andersherum: Was unterscheidet den Papst von Berlusconi, Sarkozy oder den vielen Bundestagsabgeordneten, die die Menschen vielleicht nicht für verdammungswürdig, aber für verdummungsfähig halten? Wie „erheblich“ ist die Verantwortung des Papstes (Ratzinger) an der Ausbreitung der „Aids-Epidemie“ exakt (im Verhältnis zur Politik der Pharmaindustrie) und worin genau besteht seine Verantwortung „an der Unterdrückung, Ausbeutung und Stigmatisierung von Millionen Menschen“? Diese kleinen Gegenfragen sollen kein Plädoyer dafür sein, den Papst sprechen zu lassen, sie sollen das reaktionäre roll-back, das Ratzinger in der katholischen Kirche in Gang gesetzt hat, auch nicht verharmlosen, sie sollen auch die Unterstützung charismatischer, oft homophoner Gruppen, oder die Missbrauchsskandale in der katholischen Kirche nicht herunterspielen. Aber als linker Katholik bin ich doch erstaunt darüber, dass Menschen, die wenig mit Religion und überhaupt nichts mit der katholischen Kirche zu tun haben, dem Papst und sogar als „Staatsoberhaupt - eine so erhebliche gesellschaftliche und politische Bedeutung zuweisen. Das deckt sich so gar nicht mit dem Zustand der Kirche selbst, von der sich immer mehr Menschen formal und innerlich lösen.

So manche Kritik an der Kirche erinnert in ihren Argumenten und Argumentationsfiguren jedenfalls an die Zeiten, die wir in der BRD „formierte Gesellschaft“ nannten und innerhalb derer die katholische Kirche mit starker Verankerung in den ländlichen Gebieten tatsächlich einen wichtigen Anteil an der Hegemonie des rechtskonservativen Blocks hatte: Familien- und Bildungspolitik waren - mit Gramsci gesprochen -  wichtige Orte der Hegemoniebildung und zugleich der „Stellungskriege“. Diese formierte Gesellschaft aber ist längst Geschichte, ihre Zersetzung hat auch die katholische Kirche z.B. in  zurückgehenden finanziellen und personellen Ressourcen, der zurückgehenden religiösen Praxis und Anzahl ihrer Mitglieder (1) aber auch durch Klerikernachwuchs (2) stark betroffen. Meines Erachtens ist  ihre gesellschaftspolitische Formierungsfähigkeit erheblich geschwächt.

Die zunehmend konservativen und reaktionären Tendenzen der römischen Amtskirche sind auch als Reaktion auf diese Krise der Kirche zu verstehen. Sie sind hilflose Selbsterhaltungsreflexe: die Bekämpfung der Reformbestrebungen des II. Vatikanischen Konzils 1963-1965, vor allem aber der offene Kampf gegen die zunächst in Lateinamerika entstandenen Befreiungstheologien.  Durch konservative Bischofsernennungen bei gleichzeitiger Stärkung des traditionalistischen rechten Flügels der katholischen Kirche soll diese ermutigende Entwicklung abgedeckt werden. Dazu gehören auch die fatalen Entscheidungen der Aufhebung der Exkommunikation der Bischöfe der (in Teilen rechtsextremistischen und judenfeindlichen) Piusbrüderschaft, die Wiederzulassung der tridentinischen, d.h. lateinischen Messe und der Wiedereinführung der „Karfreitagsfürbitte“ für die „Erleuchtung der Juden“. Insofern ist die Hierarchie selber Teil der höchst kritischen Situation der Kirche allein ihr Selbstverständnis „überweltliche Instanz“ macht ihr eine präzise Krisenanalyse unmöglich. Ihre Strategie der Selbstabschließung und klerikalen Verhärtung ist anderseits zugleich auch Auslöser bundesdeutscher Proteste im Katholizismus wie dem Memorandum „Kirche 2011. Ein notwendiger Aufbruch“, den Neuformierungsprozessen katholischer Kirchenreformgruppen oder den gegenwärtigen Protesten von über dreihundert Pfarrern und Klerikern in Österreich, die zu Reformen der Kirche auffordern.
Angesichts all dieser Selbstauflösungstendenzen und -bestrebungen der katholischen Kirche bin ich jedenfalls davon überzeugt, dass der katholischen Kirche die Publizität einer Bundestagsrede auch nichts nutzen wird: Der Papst ist keiner Rede wert. Und deshalb wundert mich auch, dass Teile der Linken (und SPD-Abgeordnete) auf ihre Weise den Papstbesuch mit vorbereiten. Der brasilianische Befreiungstheologe José Comblin hat angesichts des Zustandes der Kirche vom „ersten nachkatholischen Jahrtausend“ geredet. Ich vermute, dass er recht hat. Dass ich, das als linker Christ, das nicht nur freudig bejubeln kann, weil Geschichte und Institutionen immer nur dialektisch zu verstehen sind, werden allerdings nur die verstehen, die mit der Organisationsfrage noch etwas anfangen können.

Michael Ramminger, Katholischer Theologe, Münster, Institut für Theologie und Politik

 

(1) Der von der Deutschen Bischofskonferenz in Auftrag gegebene „Trendmonitor Religiöse Kommunikation 2010“ des Institut für Demoskopie Allensbach unter Mitarbeit von Sinus Sociovision kommt zum Schluss, dass sich nur noch 54 Prozent der Katholikinnen und Katholiken der Kirche verbunden fühlen, mehr als zwei Drittel davon in kritischer Weise.

(2) „Die Zahl der Priesterkandidaten geht drastisch zurück - nicht nur im Bistum Aachen. Gab es im Jahr 1985 bundesweit noch 628 Priesteranwärter, sind es 2011 gerade einmal 151 gewesen. Bald komme auf 20.000 Katholiken ein Priester“ so erklärte der Regens des Aachener Priesterseminars. Peter Blättler. Da der Vatikan (und offensichtlich auch der Großteil der deutschen Bischöfe) auf den Kern seiner Machtstruktur, den zölibatären Klerus nicht verzichten will, kam es in den letzten Jahren in fast jeder Gemeinde zu Umstrukturierungen in Form von Zusammenlegungen und Bildung von Großgemeinden, die zur Zerstörung gewachsener Strukturen und damit zu erheblicher Beunruhigung und Verärgerung im Katholizismus führte.