Am 27. Juni 2024 ist der Karikaturist und philosophische Cartoonist Harald Kretzschmar in Kleinmachnow verstorben. Viele Jahre lang war er nicht nur immer wieder mal Referent für die Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg e.V., sondern regelmäßig auch Besucher und engagierter Diskussionteilnehmer bei unseren Veranstaltungen - vor allem dann, wenn es um kulturelle Bildung und das Verhältnis von Kunst und Politik ging, in der DDR und heute.
Der Vorsitzende des Kuratoriums der RLS Brandenburg, Dr. Gerd-Rüdiger Hoffmann, hat einen Nachruf auf seinen Freund verfasst, den wir an dieser Stelle dokumentieren.
Keine stromlinienförmige Übereinstimmung
Ein Nachruf von Gerd-Rüdiger Hoffmann
Er wird mir fehlen, dieser sanftmütige und kluge Harald Kretzschmar. Er wird auch vielen in der brandenburgischen Rosa-Luxemburg-Stiftung fehlen, weil er mit seinen Karikaturen, seinen Essays und seinen Veranstaltungen vor allem jenen Mut machen konnte, die mit ihm meinten, dass das mit dem Sozialismusversuch verbundene utopische Potential trotz des Scheiterns noch lange nicht aufgebraucht ist. Ja, „Geschichte ist Vergangenheit“ und das Lernen aus der Position des Verlierers kann wehtun. Heiterkeit ist selten im Spiel. Nachdenklichkeit gelingt da eher. Doch beides, so gab es uns Harald Kretzschmar auf, gehört zusammen und muss sein. Und dann ermahnte er uns zum „dritten Blick“ – zum Durchblick. Gegen die Ungerechtigkeiten heute, gegen Kulturlosigkeit und Dummheit müsse es gehen. Selbstverständlich kommt es dann nur zum Durchblick, wenn die größeren Zusammenhänge bedacht werden. Die Kunst – im wahrsten Sinne des Wortes – bestand bei Harald Kretzschmar nun gerade darin, dass er diese großen Zusammenhänge zwar ins weltweit Politische rückte, sinnliches Begreifen und tieferes Nachdenken jedoch durch seine Beschäftigung mit dem Kleinen, dem Lokalen und mit unverwechselbaren Persönlichkeiten erreichte. Besonders seine literarischen und zeichnerischen Porträts von Menschen seines Heimatortes Kleinmachnow legen davon Zeugnis ab. Ein kurzer Textauszug aus der Einleitung zu diesem Buch gibt Auskunft über seine Denkweise, die sich an Fakten orientiert, dabei jedoch nicht stehenbleibt, die stets Raum fürs Fabulieren lässt: „Zwischen dem Geprassel der Fakten muss Zeit sein zum Erzählen, zum Durchatmen, zur Erkenntnis. Der Autor erlaubt sich eine eigene neue Sicht auf Altbekanntes, und erst recht auf das von ihm erstmals Offengelegte. Man erwarte keine stromlinienförmige Übereinstimmung mit den Ansichten von Historikern. Diese haben ihn in letzter Zeit selten überzeugt.“
Kaum anders war seine Meinung über heutige Politiker. Ärgerlich vor allem das Handeln und Reden jener, die wir gern gemeinsam als unsere Leute gesehen hätten. Noch im Juni telefonierten wir, für Harald Kretzschmar ungewöhnlich lange, und sprachen auch über dieses leidige Thema, nämlich darüber, wie eine Linke wieder einmal durch „selbst verschuldete Unmündigkeit“ versagt und sogar brennende Themen den Falschen überlässt. Eine gewisse Traurigkeit konnte ich feststellen. Aber dann war da immer noch die Milde beim Bewerten der Anderen, keine Feindbilder und kein Zynismus. Trotzdem oder deshalb trafen seine Karikaturen ins Schwarze und brachten inhaltlich auf den Punkt, was in Versammlungen nur geahnt und oft zerredet wurde. Ein Brief war zu schreiben, der von mir am 27. Juni auch angefangen und nun nicht mehr zum Ende gebracht werden kann.
Noch etwas ist mir wichtig, wenn es um das Vermächtnis meines Freundes Harald Kretzschmar geht: Die schonungslose Kritik von vergangenem politischen Handeln, klares Benennen von dem, was war und was ist, und trotzdem Hoffen auf Besserung. Das ist eine eigentliche Aufgabe von Intellektuellen, also auch Aufgabe der Rosa-Luxemburg-Stiftung, die nicht den „Siegern“ und anderen Meinungsmachern überlassen werden sollte. „Schonungslos“ heißt jedoch nicht, Menschen fertig zu machen. Nun gut, für diese Einstellung ist zurzeit kaum Raum. Aber warten wir es ab.
Sanftmut bei Harald Kretzschmar, das sei ebenfalls gesagt, bedeutet nicht, dass er nicht heftig streiten konnte. Meinungsstark war er auf jeden Fall und beharrte auf seiner Position gelegentlich auch dann, wenn die Sache vielleicht doch etwas differenzierter zu betrachten gewesen wäre. Trotzdem, auch unser Streit über den Spruch „Ceci n‘est pas un château“ am Potsdamer Schloss, das mit monarchistisch-kitschiger Hülle fortan als Landtag der Demokratie dienen sollte, war ein Gewinn für mich. „Ein Witz ist noch keine Kunst“, war sein Kommentar. Und Punkt. Viel differenzierter war unsere Diskussion über die Architektur der neuen Synagoge in Dresden. Es machte eben auch Spaß, mit Harald Kretzschmar in Streit zu geraten. Lehrreich war das alle Mal. „Sein Vermächtnis in Ehren zu halten“, das darf nicht zur wirkungslosen Floskel werden. Harald Kretzschmar war Künstler in einem sehr umfassenden Sinne.
Gewidmet hat Harald Kretzschmar das bereits genannte 2008 erschienene Buch über den Künstlerort Kleinmachnow den Kindern von heute: „Auf dass sie aus unserer Vergangenheit klug werden.“