Nachricht | Geschlechterverhältnisse - Partizipation / Bürgerrechte - Kommunikation / Öffentlichkeit - Digitaler Wandel - Feminismus - Digitalisierung und Demokratie «Lauter Hass – leiser Rückzug»

«Silencing» von Frauen und marginalisierten Gruppen auf Socialmedia-Plattformen

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Pressekonferenz zur Studie «Lauter Hass – leiser Rückzug» im Haus der Bundespressekonferenz
Pressekonferenz zur Studie «Lauter Hass – leiser Rückzug» im Haus der Bundespressekonferenz am 13.2.2024, mit:
- Elena Kountidou, Geschäftsführerin Neue deutschen Medienmacher*innen 
- Anna-Lena von Hodenberg, Geschäftsführerin HaidAid
- Lisa Paus, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
- Hanna Gleiß, Co-Geschäftsführerin Das NETTZ
- Rüdiger Fries, Geschäftsführer GMK Foto: Das NETTZ | Stefanie Loos

Hass im Netz ist alltäglich – vor allem für junge Frauen. Das zeigt eine repräsentative Studie von Das NETTZ, der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur, HateAid, den Neuen deutschen Medienmacher*innen im Rahmen des Kompetenznetzwerks gegen Hass im Netz. Die Studie ist die seit 2019 umfangreichste Erhebung zu Wahrnehmung, Betroffenheit und Folgen von Hass im Netz in Deutschland. Nun liegen mit der letzten Veröffentlichung «Lauter Hass – leiser Rückzug» die Ergebnisse einer Befragung aus dem Herbst 2023 vor. 

Das Interview mit der Soziologin und einer der Redakteur*innen der Studie Corinna Dolezalek von Das NETTZ – Vernetzungsstelle gegen Hate Speech führte Ulrike Hempel, Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Ulrike Hempel: Sie haben mehr als 3.000 Internetnutzer*innen in Deutschland ab 16 Jahren von Oktober – November 2023 befragt. Ein Ergebnis Ihrer Studie ist besorgniserregend: Fast jede zweite Person wurde schon einmal online beleidigt. Hass im Netz kann alle treffen. Einige jedoch trifft Hass besonders aggressiv. Wen?

Corinna Dolezalek: Eine unserer zentralen Erkenntnisse haben Sie in nun bereits genannt: der Hass kann alle treffen, jedoch nicht alle gleich. Dies ist eine fundamentale Einsicht, die wir aus der Studie ziehen konnten. Die Gruppe jedoch, die am meisten von Hass im Netz betroffen ist, ist die Gruppe der jungen Frauen. So gibt knapp jede dritte Frau im Alter von 16 bis 24 an, bereits Opfer von Hass im Internet geworden zu sein. Was wir hier sehen ist eine äußerst geschlechtsspezifische Komponente in der Art, gegen wen sich der Hass richtet. Neben der Wahrnehmung der eigenen Betroffenheit haben wir ebenfalls erhoben, gegen welche Gruppe die Befragten Hass online bereits beobachtet haben. Hier sind auf den ersten drei Stellen Politiker*innen, Geflüchtete und Aktivist*innen aufgeführt. Doch auch gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund und LGBTQIA werden abwertende Aussagen beobachtet. Grundsätzlich sehen wir, dass insbesondere (junge) Frauen und marginalisierte Gruppen von Hass und Hetze online betroffen sind.

Eine spannende Erkenntnis in diesem Zusammenhang besteht jedoch ebenfalls in der Wahrnehmung von Hass im Netz. So wurde dieser unter den Befragten insbesondere von jüngeren Menschen (16- bis 24-Jährige) wahrgenommen.

Womit sehen sich Frauen und FLINTA* laut Ihrer Studie im Netz konfrontiert?

Durch die Befragung wissen wir, dass Frauen und FLINTA* eben sehr häufig von Hass im Netz betroffen sind. Dies deckt sich ebenfalls mit den Erkenntnissen aus einer Vorgängerstudie vom IDZ («#Hass im Netz: Der schleichende Angriff auf unsere Demokratie», 2019).

Corinna Dolezalek ist Soziologin und eine der Redakteur*innen der Studie «Lauter Hass – leiser Rückzug». Sie arbeitet bei Das NETTZ, einer der vier herausgebenden Organisationen im Kompetenznetzwerk gegen Hass im Netz. Ihre fachlich-inhaltlichen Interessenschwerpunkte befinden sich zwischen Antifeminismus, der Manosphere und anderen (rechtsextremen) digitalen Subkulturen.

In unserer Studie gab rund jede zweite Frau, die von Hass im Netz betroffen war, an, dass sich der erlebte Hass auf ihr Aussehen bezog. Darüber hinaus zeigt sich eine deutlich sexualisierte Komponente in der Art, durch welche Frauen im Internet auf Degradierung und Ablehnung stoßen. So gab fast die Hälfte (42 Prozent) der von Hass im Netz Betroffenen an, ungefragt Nacktbilder erhalten zu haben, und fast jede fünfte Frau wurde bereits sexuell belästigt. 13 Prozent der Befragten berichteten von Androhungen sexualisierter Gewalt und 11 Prozent gaben an, dass ohne ihre Zustimmung intimes Bild-/Videomaterial Verbreitung fand. Es zeigt sich hier wirklich eine dezidiert geschlechtsspezifische Komponente; Frauen sind auch – beziehungsweise noch immer –  im Internet objektifiziert und erfahren geschlechtsspezifische Gewalt.

Diese Zahlen sind besorgniserregend und doch zeigt sich, wie sehr die virtuelle Welt nur ein Spiegel der analogen ist, mit gleichen Mechanismen und Unterdrückungsstrukturen. In unserer vor einigen Tagen, am Mittwoch dem 6. März 24, erschienenen Studie «Tracing Online Misogyny» der Bundesarbeitsgemeinschaft Gegen Hass im Netz untersuchten wir u.a. Formen, Strukturen und Ansprachen (extrem) frauenfeindlicher Rhetorik im Internet. Hier konnten wir klar erkennen, dass die Aussagen und Haltungen Frauen gegenüber häufig auf Degradierung, Dehumanisierung und Drohungen ausgerichtet sind. So ist die Androhung sexualisierter und körperlicher Gewalt bis hin zu Morddrohungen ein häufig beobachtetes Moment und bildet einen beinahe tragischen Alltagsgegenstand in misogyner Kommunikation online.

Ein Drittel der Befragten, die bereits von Hass im Netz betroffen waren, gaben den Rückgang der eigenen Online-Aktivitäten an, knapp die Hälfte der Betroffenen nutzten oder löschten ihr Profil nach der Erfahrung oder posteten nicht länger auf den Plattformen. 

Welche unmittelbaren Konsequenzen haben diese Erfahrungen auf das digitale Verhalten der Betroffenen?

Der Umgang mit den Erfahrungen spiegelt sich in den jeweiligen Aktionen wider. Mit 82 Prozent besteht die häufigste direkte Reaktion bei Konfrontation mit Hass im Netz im Blockieren beziehungsweise Stummschalten der Aggressor*innen. Ca. drei Viertel der Betroffenen melden zudem die spezifischen Beiträge bei der jeweiligen Plattform. Was wir jedoch ebenfalls in diesem Kontext beobachtet haben, ist, dass die direkte Gegenrede meist von Leuten geübt wird, die ebenfalls Betroffenenerfahrung gesammelt haben, d.h. bereits selbst Hatespeech und dergleichen erfahren haben.

Weitere direkte Folgen für die Betroffenen von Hass und Hetze sind der soziale Rückzug, psychische Beschwerden und Probleme mit dem eigenen Selbstbild. Eine traurige Realität ist leider ebenso, dass eine weitere Konsequenz für Betroffene darin besteht, sich aus dem digitalen Debattenraum zurückzuziehen. Diesen Effekt nennen wir Silencing und er ist frappierend. Ein Drittel der Befragten, die bereits von Hass im Netz betroffen waren, gaben den Rückgang der eigenen Online-Aktivitäten an. Wie bereits erwähnt sind es insbesondere Frauen und marginalisierte Gruppen, die somit ihre Stimme verlieren – knapp die Hälfte der Betroffenen nutzten oder löschten ihr Profil nach der Erfahrung oder posteten nicht länger auf den Plattformen. Somit müssen wir klar statuieren, dass genau jene Stimmen verstummen, die so eminent wichtig für unseren demokratischen Diskurs sind!

Ein Großteil der Befragten (89 Prozent) stimmen zu, dass Hass im Netz in den letzten Jahren zugenommen hat. Wer soll und wer kann dieser Entwicklung etwas entgegensetzen?

Der Komplex und die Herausforderungen sind wirklich sehr umfassend und die Problematik ist alles andere als simpel. Daher braucht es Wirkansätze auf vielen Ebenen. Zum einen müssen Betroffene einfach besser geschützt und unterstützt werden. Hierfür bedarf es spezialisierter Anlaufstellen, die bundesweit zur Verfügung stehen und barrierearm genutzt werden können. Die Betroffenen müssen aufgefangen werden, um mit ihren Erfahrungen nicht alleine gelassen zu werden. Für den Betroffenenschutz müssen zugleich auch die Gesetze Anwendung finden, die wir bereits haben und aktiv nutzen könnten. Zudem müssen Plattformen schlicht und einfach zur Verantwortung gezogen werden, denn in diesem Umfeld bildet sich der Hass und findet Verbreitung. Die Plattformen müssen zudem auch einen finanziellen Teil leisten. Hass, Hetze und Desinformation werden gestärkt von den Plattformlogiken und deren Geschäftsmodellen, somit müssen diese schlichtweg auch einen Beitrag leisten, um die entstehenden gesellschaftlichen Mehrkosten und Schäden in einem ausreichenden Maße mitzutragen.

Ein weiterer Punkt besteht in einer aktiven Stärkung von Medienkompetenz und politischer Bildung. Um (junge) Menschen über gewisse Mechanismen wie beispielsweise Desinformation aufzuklären, bedarf es einer nationalen Bildungsoffensive.

Mit welchen Strategien passen sich mehr als die Hälfte der Befragten aus Angst im Netz an?

Wie bereits benannt, beobachten wir Silencing als einen Coping-Mechanismus. Inhalte werden bewusst vorsichtiger formuliert, knapp die Hälfte der befragten Betroffenen stellte das Profil von öffentlich auf privat um und veränderte somit das eigene Umfeld. Zwar gibt es ebenfalls jene, die einen aktiven Umgang mit Hass und Hetze suchen – wie beispielsweise die Antworten von Personen unterstützen, die Hass im Netz kritisieren – doch leider sind die häufigsten Strategien im Umgang mit dem Erlebten der Rückzug. Dies trifft dabei sowohl den Online- als auch den Offlineraum. Somit wirken die spezifischen Strategien zwar zunächst auf das Internet begrenzt, doch beispielsweise sozialer Rückzug, welcher von 41 Prozent der Befragten als Folge aufgeführt wird, wirkt sich massiv auf die analoge Realität aus.

Darüber hinaus gab mehr als die Hälfte der Befragten an, sich aus Sorge vor Hass im Netz seltener zu ihrer politischen Meinung zu bekennen, seltener an Diskussionen teilzunehmen sowie Beiträge bewusst vorsichtiger zu formulieren. Doch auch hier zeigt sich erneut eine geschlechtsspezifische Komponente. Während 51 Prozent der Männer angeben, seltener im Internet ihre Meinung bekannt zu geben, sind es bei den Frauen vergleichsweise 62 Prozent.