Nachricht | Zum Tod von Annelies Laschitza (1934–2018)

Die Nachricht vom Tod von Prof. Dr. Annelies Laschitza am 10. Dezember diesen Jahres hat uns als Brandenburger Stiftung tief bestürzt.

Annelies Laschitza bei ihrem Vortrag vor unserer Landesmitgliederversammlung im Juni 2018 in Potsdam (Foto: Cathleen Bürgelt)

Prof. Dr. Annelies Laschitza gehörte mit zu den ersten Referentinnen, die die Stiftung seit ihrer Gründung mit Vorträgen begleitet hat.
Noch am 30. Juni 2018 war Prof. Annelies Laschitza Gastreferentin anlässlich unserer Landesmitgliederversammlung 2018. 

Unser Vereinsmitglied, Dr. Holger Politt, Leiter des Warschauer Büros der RLS und selbst seit vielen Jahren als Historiker mit Leben und Werk unserer Namensgeberin beschäftigt, Herausgeber und Übersetzer der polnischsprachigen Schriften Luxemburgs, hat den folgenden Text zur Würdigung und Einordnung der Forschungsleistung von Annelies Laschitza verfasst.


Auf beider Schultern – Annelies Laschitza (1934–2018) und Feliks Tych (1929–2015)

Holger Politt

Die Erforschung des Werkes von Rosa Luxemburg lag hier in besten Händen – bei Annelies Laschitza in Berlin und bei Feliks Tych in Warschau. Beide Namen müssen als erste genannt werden, wenn an die großen Leistungen der Rosa-Luxemburg-Forschung in den Jahrzehnten nach Stalins Tod erinnert werden soll. Beider Ruf überdauerte auch das Ende des sowjetisch geprägten Staatssozialismus in Mittel- und Osteuropa. Eine auffallende Parallele im wissenschaftlichen Werdegang der beiden Historiker: Ohne die sowohl in der DDR als auch in der VR Polen beinahe in den Rang einer Staatsideologie gehobenen jeweiligen Forschungsleistungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung wären die erreichten umfassenden Erfolge wahrscheinlich ausgeblieben. Und diese Wege im Korsett der jeweils „höheren“ Staatsinteressen führten beide Forscher unweigerlich auch jenen Zonen zu, wo Tabus berührt, wo der Mut aufgebracht werden musste, die an höherer Stelle unliebsamen Tatsachen zur Sprache zu bringen und vor allem – zu veröffentlichen.

In der Frage der Rosa Luxemburg so teuren Verteidigung von Meinungs-, Versammlungs- und Organisationsfreiheit gab es zwischen beiden Ländern, der DDR und der VR Polen, größere Unterschiede, was insbesondere für die Zeit nach 1980/81 gilt. So ist auch die bestimmende Handschrift der beiden Historiker der Arbeiterbewegung durchaus eine jeweils andere gewesen. Und eine dritte Seite – Moskau – spielte lange Zeit eine auffallende, mitunter sogar förderliche, sehr oft aber bremsende Rolle. Rosa Luxemburg galt auch dort an höherer Stelle als „Herausforderung“ – insbesondere in allen Fragen, in denen die Geschichte der russischen Arbeiterbewegung mehr als nur berührt wurde.

Feliks Tych stieß Ende der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts in Moskau auf die erhalten gebliebene Korrespondenz Rosa Luxemburgs an Leo Jogiches, die über 1.000 Briefe umfasste, die überwiegend polnisch geschrieben worden waren und in denen es insbesondere um teils hochbrisante Vorgänge in der polnischen, deutschen und russischen Arbeiterbewegung ging. Erst anhand dieses Brieffundes konnten große Teile und selbst Zeiträume des politischen und theoretischen Wirkens von Rosa Luxemburg ausreichend rekonstruiert werden, was aber insbesondere die so wichtige Zeit aus den Jahren vor 1898 betraf. Bereits 1960 trug sich Feliks Tych mit dem Gedanken, in Polen eine zehnbändige Werk- und Briefausgabe herauszugeben. Interessant aus heutiger Sicht, dass er diese Idee erstmals in einer italienischen Publikation veröffentlicht hatte. Warum es nicht zur Umsetzung dieses Vorhabens gekommen ist, muss die weitere Forschung ergründen. Doch gelang es Feliks Tych, von 1968 bis 1971 wenigstens die über 1.000 Briefe Rosa Luxemburgs an Leo Jogiches in Polen in einer bis heute mustergültigen Ausgabe zu veröffentlichen.

Der Weg der Rosa-Luxemburg-Forschung in der DDR führte Annelies Laschitza unweigerlich zu der mehrbändigen Ausgabe von gesammelten Werken und schließlich zu der umfassendsten Ausgabe von Briefen Rosa Luxemburgs, die weltweit bislang existiert. Zwar geriet aus Gründen interner Absprachen zwischen Warschau und Berlin die DDR-Werkausgabe, die ab 1970 in fünf Bänden das Licht der Öffentlichkeit erblickte, in eine auffallende Schieflage zugunsten des deutschsprachigen Werkes, aber Rosa Luxemburgs brisanter Beitrag zu den „Organisationsfragen der russischen Sozialdemokratie“ (1904) und das berühmte Gefängnismanuskript über die russische Revolution vom Spätsommer 1918 wurden aufgenommen und mit offizieller Erlaubnis gedruckt.

Schließlich wurden ab 1982 die sechs Bände der Briefe Rosa Luxemburgs an verschiedene Adressaten herausgegeben, die von nun an – wie bereits zuvor die von Feliks Tych herausgegebenen Briefe an Leo Jogiches – zu einem unverzichtbaren Hilfsmittel für die moderne Rosa-Luxemburg-Forschung wurden.

Nach 1990 verlegte Feliks Tych den Schwerpunkt seiner Forschungsarbeiten auf das Leben und das politische Werk von Leo Jogiches, ohne den – so zeigte er sich überzeugt – eine Rosa Luxemburg, wie wir sie heute kennen und schätzen, gar nicht zu denken gewesen wäre. Die Forschungsarbeiten sind leider Fragment geblieben, da eine andere berufliche Option den Historiker forderte – von 1995 bis 2006 war Feliks Tych Direktor des renommierten Jüdischen Historischen Instituts in Warschau, das eine der wichtigsten Erinnerungsstätten zur Zeitgeschichte ist. Nach dem Ausscheiden aus dem Amt war es Feliks Tych nicht mehr vergönnt, wie gewünscht zur unterbrochenen Forschungsarbeit zurückzukehren.

Annelies Laschitza veröffentlichte 1996 ihre große Biographie Rosa Luxemburgs – „Im Lebensrausch, trotz alledem“. Schließlich gab sie 2014 und 2017 gemeinsam mit Eckhard Müller die an Seitenzahl umfangreichen Bände 6 und 7 der einst in der DDR begonnenen Werkausgabe heraus, so dass nun die bekannten deutschsprachigen Arbeiten Rosa Luxemburgs vollständig veröffentlicht sind. Dieser Teil im Werk Rosa Luxemburgs umfasst ungefähr 5.000 Druckseiten. Der große Wunsch von Annelies Laschitza war es gewesen, auch den vollständigen Druck der ins Deutsche übersetzten polnischen Arbeiten Rosa Luxemburgs zu erleben. Bislang sind von den insgesamt wohl 2.500 Druckseiten polnischer Sprache knapp die Hälfte auch in deutscher Übersetzung gedruckt worden. Die Einbindung dieses für die Forschung so wichtigen Bestands in die mit dem Namen Annelies Laschitzas verknüpfte Werkausgabe steht noch aus.

Weiterfühende Literatur:

Annelies Laschitza: Sich treu bleiben und heiter sein… Erfahrungen und Entdeckungen durch Rosa Luxemburg in mehr als 50 Jahren, Leipzig 2017, 232 Seiten. (Heft 14 der Rosa-Luxemburg-Forschungsberichte der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e. V.)

Im Licht der Revolution. Zwei Texte von Rosa Luxemburg aus dem Jahre 1906 und Parali-pomena zu Leben und Werk, Leipzig 2015, 110 Seiten. (Heft 12 der Rosa-Luxemburg-Forschungsberichte der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e. V)

(Die Rosa-Luxemburg-Forschungsberichte werden herausgegeben von Klaus Kinner und Manfred Neuhaus.)