Dokumentation Víctor Jara: Vive!

Berührender Abend mit einem Gespräch mit Amanda Jara über ihren Vater und mit seinen Liedern, interpretiert von Yolanda Marvel

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Dr. Volker Külow im Gespräch mit Amanda Jara, übersetzt durch Lucas Reinehr (v.r.n.l.) [Foto: Conny Meißner]

Vor vollem Haus beendeten Amanda Jara und Yolanda Marvel am 24. September 2023 ihre Tour zum Gedenken an den großen Folksänger, Theaterregisseur, Schriftsteller, Lehrer und Kommunisten Víctor Jara im Café Zelig in Cottbus/Chóśebuz. 

Das bewegende Programm bestand aus Gesprächen zwischen Amanda Jara und Volker Külow und aus Liedern von Víctor Jara, die beeindruckend von Yolanda Marvel an der Gitarre vorgetragen wurden.

Für den ersten sehr berührenden Moment aber sorgte die Vorsitzende des Verein Chile für die Welt, Carmen Gennermann: Sie hatte Schallplatten von Víctor Jara mit, die von einem Journalisten aus Chile geschmuggelt worden waren, der eigentlich am 11. September noch einen Interview-Termin mit Salvador Allende hatte. Die Platten waren bereits von Freunden im Garten uner der Erde versteckt worden und gelangten durch den Journalisten ins Ausland und schließlich nach Wernigerode. Als dort eine Frau von der Tour las, nahm sie Kontakt zu Carmen Gennermann auf und bat darum, die Schallplatten Amanda Jara zu überreichen.

Aufgrund der wohlkomponierten Fragen von Volker Külow rief Amanda Jara zu Beginn die politischen Verhältnisse vor der Wahl Allendes 1970 in Erinnerung und skizzierte die zenralen politischen Vorhaben des Sozialismusprojektes der Unidad Popular: Agrarreform, Bidungsreform, Veränderung der politischen Kultur, ... Dazu gehörte auch die Suche nach einer neuen kulturellen Identität, wofür insbesondere Víctor Jara im kollektiven Prozess an der Entwicklung einer neuen chilenischen Musik arbeitete, die insbesondere die Traditionen der Indigenen aufnahm. Sie schilderte aber auch das familiäre Leben, ging auf die Zeit des Exils in Großbritannien ein, benannte klar die Auswirkungen des Pinochet-Regimes bis heute, insbesondere mit Blick auf die neoliberalen Verwerfungen, und beschrieb das unermüdliche Engagement für die juristische Aufarbeitung der Verbrechen der Junta und ein angemessenes, lebendiges Gedenken nicht nur, aber doch eben auch an ihren Vater.

Víctor Jara: Presente!

Bericht von Gabriele Senft

24. September 2023

Als Yolanda in die Runde fragt: „Wer kommt aus Chile?“, melden sich etliche, „und wer aus Cottbus?“ klar, die meisten im Café Zelig in Cottbus heben die Hand. „Und kommt auch jemand aus benachbarten Orten?“ „Ja, ich, aus Berlin.“. Diese Antwort wird von meinen Tischnachbarn lachend kommentiert, „ja, Vorort von Cottbus“.
Ich bin damit einverstanden, (auch, weil ich Wurzeln in Luckau habe, ist ja halb auf dem Weg,) -  und sehr froh, dabei zu sein und den letzten Abend einer Reihe von Veranstaltungen der beiden Frauen aus Chile miterleben zu dürfen. Die sind aus Chile angereist und haben nun eine anstrengende, doch für alle Beteiligten bedeutsame Tour fast hinter sich. Hier in Cottbus sind sie eingeladen von der Stadtfraktion der LINKEN, der Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg und dem Verein Chile für die Welt Cottbus e.V. in einen lichtdurchflutenden wunderschönen Raum.

»Wie in einem Gewächshaus im Tierpark«, empfindet es Moderator Dr. Volker Külow. Viele erwartungsvolle Gesichter sitzen den beiden Frauen Amanda Jara, Yolanda Marvel, dem Dolmetscher Lucas und Dr. Volker Külow gegenüber. Der begleitete sie auch schon an den Vorabenden mit einer wohl überlegten Regie aus Gesprächsrunden und Liedvorträgen.

Amanda bewundert im Café Zelig vor allem den „Big Bonsai“, einen stattlichen Olivenbaum im Saal– und sie habe den bequemsten Stuhl von allen, auf denen sie in den letzten Tagen Platz genommen hatte ..., so versteht sie es, die Zuneigung des Publikums zu gewinnen und sich selbst damit einzustimmen, denn, so sagt sie mir vorher, es fällt ihr nicht leicht, sie verreise gar nicht gern und freue sich auf zu Hause. Doch auch mich hat sie schon vor Beginn der Veranstaltung mit ihrer Lebendigkeit betört, ich habe sonst immer Hemmungen, mich in Englisch zu verständigen, und bei ihr merke ich gar nicht, dass wir uns nicht auf Deutsch unterhalten, so einfach erscheint mir das.

Yolanda hat einige in verschiedenen Lebensphasen Victor Jaras entstandene Lieder herausgesucht und erzählt nun, warum es diese gibt,  so u.a. wie der Sänger in Havanna von Fidel Castro eingeladen war und weil jenem etwas dazwischen kam, er dann von jemand vertreten wurde und die chilenischen Gäste erst später erfuhren, dass sie von Che Guevara empfangen worden waren. Oder über den Anlass für das Lied „Luchin“, das von einem bei Rettungsarbeiten während einer Überflutung von Studenten gefundenen  und gerettetem Findelkind erzählt, das später adoptiert werden konnte. Auch das Lied „El derecho de vivir en paz“ ist allen vertraut, seit Víctor Jara es für Ho chi Minh sang. „Das Recht in Frieden zu leben“, es wird heute auch in der Ukraine gesungen. Spät am Abend singt sie für uns sein Lied „Manifest“, das Víctor Jara im Juni 1973 für ein Liederalbum noch aufnehmen konnte und wir es darum manchmal mit seiner zärtlichen Stimme auf Tonträgern hören können. Sie ermutigt uns zum Mitsingen und wenigstens mit „Lalala“ zur Melodie schaffen wir es auch.

Da passte das liebevolle Geschenk, das Cottbuser:innen Amanda machten: Schallplatten mit Liedern ihres Vaters, die seit 1973 in deren Besitz waren.

An diesem, wie an den anderen Abenden, hatte Amanda eine schwierige Aufgabe. Die Tochter des chilenischen Volkssängers wird wiederholt an die für sie schrecklichsten Tage ihres Lebens vor 50 Jahren erinnert, als der Vater ermordet wurde und sie mit der Schwester und ihrer Mutter ins Exil nach Großbritannien fliehen musste. In Cottbus fragt Volker sie darum nicht noch einmal zu den Ereignissen des 11. September,  stattdessen liest er aus dem Buch von Joan Jara „Das letzte Lied“ vor,  eine Erinnerung der Mutter auf der Reise nach Großbritannien mit den beiden Töchtern vier Wochen nach dem Militärputsch. Sie sei nun nichts mehr von all dem, was sie ausmachte, Tänzerin, Choreografin, Lehrerin, nur noch die allein Verantwortliche der beiden Kinder, die sie so blass in ihren Sitzen vor sich sieht, „so verstört, dass sie sich nicht mal um den Fensterplatz streiten...“ und sie nun stark sein müsse für sie, aber diese ihr erst die Kraft gäben, weiter zu leben.
 
Amanda ist konzentriert und bereit, geduldig und ausführlich auf alle Fragen einzugehen, und sie  antwortet mit einer offen zugewandten, liebenswerten natürlichen Ausstrahlung. Sie kann wunderbar erzählen und uns zum Lachen bringen: Bedauernd sagt sie, in der Familie sei die Mutter die Schönste gewesen und sie komme nach dem Vater,  - was wir doch anerkennend registrieren, denn ihre Augen sprühen vor Lebensfreude. Und wir suchen nicht vergeblich nach vertrauten Gesichtszügen von Víctor Jara. Sie spricht auch eindringlich darüber, was ihrem Volk angetan wurde und bringt uns zum Nachdenken darüber, was man einer an die Macht kommenden Reaktion zutrauen kann.

In Frankfurt am Main, Hamburg, Leipzig, Chemnitz und Berlin waren Amanda Jara und Yolanda Marvel zu Gast. Überall herzliche Begegnungen mit Bürgern aus der BRD und mit ihren Landsleuten, erzählt Amanda. "Besonders mit den älteren, die sich an die Jahre der Unidad Popular und die weltweit große Hoffnung erinnern können, gab es feste Umarmungen.“

Unter ihnen sind sicher viele wie ich, die an die  X.Weltfestspiele in Berlin denken und an die Worte von Gladys Marin über eine ernste Bedrohung der sozialistischen Errungenschaften in Allendes Chile. Einen Monat später mussten wir über das unvorstellbare brutale Wüten der Militärschergen erfahren.

Doch seit damals gehören auch uns willkommene Flüchtlinge aus Chile zu unserem Leben und die chilenische Musik, wo wir bald einige Lieder mitsingen konnten.

Yolanda Marvel und Amanda Jara sind über 30 Jahre miteinander befreundet. Dort, wo Amanda in einem kleinen chilenischen Ort am Meer lebt und ihre Landschaftsbilder entstehen, dort kommen Yolandas Eltern her. Yolanda ist Historikerin, sie hat in Leipzig studiert, spricht darum akzentfrei Deutsch und sie liebt es zu musizieren. Mit Jörg Folta vom Felsenkeller in Leipzig zusammen entstand die Idee, den vor 50 Jahren ermordeten Sänger Victor Jara mit dieser Rundreise zu ehren. Wir zollen ihrem Können im Gitarrenspiel, ihrer ausdrucksstarken Stimme viel Beifall.

Amanda ist Vorsitzende der 1994 gegründeten Victor Jara Stiftung und sie führt jahrzehntelang einen zähen, aufreibenden, aber doch in kleinen Schritten erfolgreichen Kampf, damit die Verbrechen des Pinochet-Regimes nicht vergessen werden. Der Platz ungeheurer Folter und Morde, das Stadion in Santiago, hat 2003 den Namen ihres Vaters, „Estadio Víctor Jara“, erhalten und sie lässt zusammen  mit vielen Freunden nicht nach, sich dafür einzusetzen, dass dieses Stadion ein wirklicher Gedenkort wird und die Verbrechen gesühnt werden. Sieben der damaligen Soldateska wurden schuldig gesprochen am Tod von Victor Jara  und sind verurteilt worden.

Dass es noch viele Zeitdokumente gibt, ist zahlreichen Chilenen und auch ausländischen Journalisten zu verdanken, die Material versteckten und ins Ausland retteten.

Theo Balden, der für meine Heimatstadt Luckau ein Karl-Liebknecht-Denkmal schuf, in dessen Gestaltung er uns Oberschüler einbezog, packte 1973 seine Erschütterung in eine Plastik. Er schuf eine Büste Victor Jaras - einen zum Tode verletzten, doch in seiner Würde unbeugsamen Sänger, der nie vergessen wurde und uns in kommenden Kämpfen begleiten wird.

Amanda bringt es in ihrem Schlusswort zum Ausdruck: Victor Jara ist nicht tot, er lebt als Saat der Gedanken.

Die vom Förderverein Felsenkeller Leipzig initiierte Tour des Gedenkens von Amanda Jara und Yolanda Marvel wurde von der Rosa-Luxemburg-Stiftung unterstützt und der Tageszeitung „junge Welt“ als Medienpartner begleitet.

Für die Realisierung von Gespräch und Konzert in Cottbus/Chóśebuz arbeiteten Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg e.V., Fraktion DIE LINKE. in der Stadtverordnetenversammlung Cottbus/Chóśebuz und der Verein Chile für die Welt e.V. zusammen.

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